Interview mit Leichtathletik-Trainer Heinz Weber (LG Sieg)

In Leichtathletikkreisen gilt Heinz Weber als Garant für Erfolge. Wer sich seiner Trainingsgruppe innerhalb der LG Sieg anschließt, kann bei entsprechendem Trainingseifer zu Meisterehren kommen. Der 65jährige ehemalige Sicherheitsingenieur und heutige Rentner ist Inhaber der höchsten Übungsleiter-Lizenz, die ohne Studium zu erwerben ist, der A-Lizenz.

Von ihm betreute Athleten attestieren dem im 35sten Übungsleiterjahr Stehendem Ruhe und Gelassenheit, ein immenses Fachwissen, methodisches wie pädagogisches Geschick, sowie die Fähigkeit, auftauchende Probleme zu analysieren und diese zum Wohl des ihm anvertrauten Sportlers zu lösen. Auch in privaten Angelegenheiten steht er seinen Schützlingen mit Rat und Tat zur Seite. Zu ihnen zählt auch die amtierende Deutsche 5000-Meter-Meisterin Sabrina Mockenhaupt, die er seit vier Jahren unter seiner Obhut hat, behutsam aufbaute und dahin führte, wo sie heute steht: in der ersten Reihe der deutschen Spitzenklasse. Sie war auch der Anlass für das nachstehende Gespräch mit Heinz Weber.

Gespräch mit Heinz Weber, Trainer der amtierenden Deutschen 5000-Meter-Meisterin der Frauen-Hauptklasse Sabrina Mockenhaupt (beide LG Sieg)

Herr Weber, Sie haben schon vielen Athleten den Weg in die deutsche Spitzenklasse geebnet. Gemessen an der Erfolgsbilanz nimmt Sabrina Mockenhaupt eine Sonderstellung ein. Was macht sie anders als die anderen Sportler in Ihrer Trainingsgruppe?

Sabrina macht genau das gleiche Training wie auch die anderen Sportler in unserer Trainingsgruppe. Sie trainiert überwiegend GA 1 und GA 2 (siehe Lexikon) und relativ wenig wettkampfspezifische Ausdauer. Sabrina ist sehr ehrgeizig und kann sich auch im Training "quälen", wenn es notwendig ist. Offenbar hat sie von ihren sportlichen Eltern, die auch bei mir trainiert haben, viel Talent mit in die Wiege gelegt bekommen.

Wie geht ihr Schützling mit ihren Erfolgen um und wie, wenn einmal nicht alles nach Wunsch verläuft?

Sabrina ist emotional ein Wirbelwind, deshalb schlagen auch die Gefühle sehr stark in beide Richtungen aus. Bei Erfolgen kann sie sich überschwänglich freuen, bei Misserfolgen heult sie dann "Rotz und Wasser".

Zu Beginn der Saison 2001 hatte Sabrina Mockenhaupt große Anlaufschwierigkeiten. Doch dann plötzlich platze bei ihr "der Knoten" und sie lief eine Bestmarke nach der anderen. Welches Geheimnis steckte dahinter?

Das sehe ich nicht so! Sie ist sehr erfolgreich in der Hallensaison gewesen und noch erfolgreicher bei den Deutschen Crossmeisterschaften mit einem Meistertitel. Auch vier Wochen später ist sie in einer hervorragenden Form gewesen. Als sie in Barakaldo (Spanien) bei den inoffiziellen Europameisterschaften über 10000 Meter "ausgestiegen" ist, mag der Eindruck entstanden sein, dass sie nicht so gut vorbereitet in dieses Rennen gegangen ist. Die Nervosität war so groß, dass Sabrina ein viel zu hohes Anfangstempo gelaufen ist und deshalb den Lauf nicht durchgestanden hat. Danach ist alles ganz normal weitergegangen, so dass gar kein "Knoten" platzen musste, um eine Bestzeit nach der anderen zu laufen.

Es meldete sich ein sogenannter "Leichtathletik-Fachmann" zu Wort, der der Meinung ist, dass es ihm möglich gewesen wäre, Sabrina Mockenhaupt noch früher in die deutsche Spitzenklasse zu führen. Was sagen Sie dazu?

Wo Erfolg ist, gibt es immer Leute, die natürlich alles noch besser können. Die Überheblichkeit und Arroganz kennt keine Grenzen, wenn man zum Beispiel einen Sportler innerhalb von zwei Jahren über 400 Meter von 47 auf 49 Sekunden ins sportliche Nichts führt. Man glaubt dann immer noch, der Größte zu sein, obwohl man hier eher von einem Dilettanten als von einem Fachmann reden kann. Deshalb stört mich eine solche Meinung eines Dilettanten, pardon, ich wollte sagen eines sogenannten "Leichtathletik-Fachmanns" nicht im Geringsten.

Die Betreuung einer jungen Athletin vom Format Sabrina Mockenhaupt erfordert viel Verantwortung und Fingerspitzengefühl. Setzen Sie sie zu hohen Belastungen aus, führt dies zur Überlastung; unterfordern Sie sie, führt dies zur Leistungstagnation bis hin zum Leistungsabfall. Wie lösen Sie diese Problematik?

In der Tat ist es nicht einfach, die notwendigen Trainingsbelastungen festzulegen. Auf einer Seite gibt es vom DLV-Lauf-Team Rahmentrainingspläne, die eine wertvolle Hilfe darstellen und dann auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt werden können. Auf der anderen Seite fahren wir bis zu dreimal im Jahr nach Leipzig zum "Institut für angewandte Trainingswissenschaften" (ITA) an der dortigen Universität. Dort gibt es für Sabrina eine sportärztliche Untersuchung und anschließend eine Leistungsdiagnostik (siehe Lexikon), aus denen ich wertvolle Angaben bekomme, wie eine optimale Tempogestaltung im Training realisiert werden kann.

Hat Ihre Athletin ein Mitsprachrecht bei der Gestaltung des Trainingsplanes?

Ich glaube, ohne eine Mitwirkung des Sportlers an der Trainingsgestaltung kann ein Training nicht optimal durchgeführt werden. Selbstverständlich gehe ich auf Vorschläge von Sabrina ein.

Neben der disziplinspezifischen Ausdauerfähigkeit stellt der Mittel- und Langstreckenlauf auch Anforderungen an die Psyche des Athleten, wie Durchhaltevermögen, Anstrengungs- und Risikobereitschaft, sowie Selbstvertrauen. Liegen diese psychischen Leistungsgrundlagen bei Ihrer Athletin vor?

Ohne Zweifel ist bei Sabrina Durchhaltvermögen, Anstrengungs- und Risikobereitschaft vorhanden, wobei die große Risikobereitschaft bei ihr auch schon zu Misserfolgen geführt hat, wie zum Beispiel bei den 10000-Meter-Europameisterschaften in Barakaldo. Sie ist auch selbstbewusst, wobei ich mir wünsche, dass das Selbstvertrauen in manchen Wettkämpfen größer wäre.

Als amtierende Deutsche 5000-Meter-Meisterin wird Sabrina Mockenhaupt nun auch von der Konkurrenz "gejagt". Ist sie diesem zusätzlichen Leistungsdruck gewachsen?

Ich glaube schon, dass sie dem zusätzlichen Druck gewachsen ist, obwohl man nicht sagen kann, dass sie vor Selbstbewusstsein strotzt.

Welche Möglichkeiten hat ein Trainer, während eines Rennens auf seine Schützlinge einzuwirken?

Bei Wettkämpfen auf der Bahn ist die Einflussnahme auf die Renngestaltung schon gegeben. Schwieriger wird es bei Crossläufen, weil sie dann nicht so oft an einem vorbeiläuft und man keine objektiven Kriterien für die Laufgestaltung hat.

Nach welchen Kriterien legen Sie die Taktik für ein Rennen fest?

Das wichtigste Kriterium für die Taktik ist die augenblickliche Leistungsfähigkeit, die ich beim Training im Stadion feststelle. Daraus überlegen wir die richtige Tempogestaltung, die großen Einfluss auf den Erfolg hat. Dazu ist es auch wichtig, die Konkurrenz mit ihren Stärken und Schwächen zu kennen, um flexibler auf deren Verhalten reagieren zu können.

Mit ihren 21 Jahren hat Sabrina Mockenhaupt schon ein hohes Leistungsniveau. Ist da noch Spielraum für weitere Leistungssteigerungen vorhanden?

Mit 21 Jahren kann man im Langstreckenlauf nicht am Ende der Leistungsentwicklung sein. Außerdem hat Sabrina relativ spät mit dem Leistungssport begonnen, so dass man davon ausgehen kann, dass sie sich noch weiter verbessern kann. Jahr für Jahr hat sie ihre Bestleistungen steigern können, so dass der bekannte Langstreckenläufer Manfred Steffny in seinem Laufmagazin "Spiridon" schrieb, dass Sabrinas "bilderbuchartige Leistungssprünge .... Lehrbuchcharakter" hätten, worüber wir uns natürlich gefreut haben.

Letzte Frage: Welche sportlichen Ziele haben Sie sich und Ihrer Athletin für die Saison 2002 gesetzt?

Sabrina hat sich für dieses Jahr große Ziele gesetzt. Schon am 01. Februar läuft sie in Erfurt 3000 Meter und will sich fort mit einer Zeit von unter neun Minuten für die Hallen-Europameisterschaften, die Anfang März in Wien (Österreich) stattfinden, qualifizieren. Mitte Februar sind dann die Deutschen Hallenmeisterschaften, bei denen sie natürlich eine Top-Platzierung erreichen will. Zwei Wochen später stehen in der Türkei die Militärmeisterschaften auf dem Programm und anschließend geht sie für mehrere Wochen nach Südafrika in ein Höhentrainingslager, um dann Mitte Mai bei den Deutschen Langstreckenmeisterschaften die Norm von 33:00 Minuten über 10000 Meter für die Europameisterschaften in München zu unterbieten (Bestzeit 2001: 32:28,19). Anfang Juni will sie Hengelo (Niederlande) auch die Norm von 15:30 Minuten über 5000 Meter für München laufen. Nach den Deutschen 5000 Meter-Meisterschaften geht es wieder in ein Trainingslager als Vorbereitung für die Europameisterschaften in München. Außerdem geht sie davon aus, sich auch für den Europa-Cup der Nationalmannschaften über 3000 oder 5000 Meter zu qualifizieren.

Die Fragen stellte Gernot Tille

Lexikon

Grundlagenausdauer 1 (GA 1):

Trainingsmethodisch versteht man darunter eine sportunabhängige mittelintensive Ausdauer mit Belastungen unterhalb und im Bereich der aeroben Schwelle, wobei der Lactatwert unter 3 mmol/l liegen sollte. Diese Ausdauerart bildet die Grundlage für eine Spezialisierung.
Trainingsformen. Mittlere bis längere Dauerläufe

Grundlagenausdauer 2 (GA 2):

Darunter wird eine sportartspezifische submaximale Ausdauer mit Belastungen im Bereich des aeroben-anaeroben Überganges verstanden. In diesem Falle soll der Lactatwert bei 4 – 6 nmol/l liegen.
Trainingsformen: kurze bis mittellange Dauerläufe und Tempoläufe nach der Intervallmethode.

Leistungsdiagnostik:

Sie dient der Überprüfung der gegenwärtigen Leistungsfähigkeit eines Sportlers und gilt als Voraussetzung für die weitere Trainingssteuerung. Man bedient sich verschiedener Testverfahren, wie z. B. Lactatmessung, sportmotorische Tests, trainingsmethodische Kontrollverfahren oder leistungsphysiologische Tests.